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Schrift / Sprüche – Einführung

Ein Bildhauer, Alfred Huber, erkannte eine aktuelle Tendenz in der Grabmalkultur: «In neuerer Zeit ist…der Typus des Schrift-Steines aufgekommen.» [1] Zu jenen, die diese Grabmalgattung pflegten, gehörte überraschenderweise Josef Nauer, der doch sonst den Grundsatz hartnäckig vertrat, dass ein Grabmal in der Einheit von «Schrift und Bild» [2] bestehe.

 

«Stäbli-Schrift» / Schriftenkurs -> Von den insgesamt 54 Vorlageblättern der Mappe «Die Gestaltung des Reihen-Grabmals» von Josef Nauer sind nicht weniger als 20, die sich der Schrift widmen. Er hat sich eingehend damit auseinandergesetzt. Er studierte und zeichnete historische Schriften und entwickelte daraus eine Schrift im Sinne der Materialgerechtigkeit: die «Stäbli-Schrift», die sich für einen Bildhauer mit einem geeigneten «Schreibgerät», etwa einem Meissel, in Holz oder Metall relativ leicht ausführen liess. Wohl im Auftrag des Verbandes der Schweizer Bildhauer- und Steinmetzmeister VSBS führte Josef Nauer 1973 einen Schriftenkurs durch. Wichtig dabei war ihm, dass die senkrechten Züge da und dort über die Kante oder den Rand hinaus zielten [3].

 

Sinnsprüche -> Josef Nauers oberstes Gebot war die Einmaligkeit eines Grabmals. Eine Serie gleicher Exemplare war für ihn undenkbar. Unterscheidbarkeit erreichte er, indem er bei den reinen Schrift-Grabmalen jeweils einen neuen Sinnspruch verwendete. So war er unablässig auf der Suche danach, wandte sich etwa an den Theologen (?) Professor Alois Müller, Luzern. Dieser antwortete ihm: «Sie bitten mich um zwei bis drei Sätze, haben aber das zehn- oder hundertfache, und ich weiss nicht, wie ich Sätze finden kann, die Sie noch nicht haben.» [4]

 

Josef Nauer entwarf Ein-Wort Grabmale («VIVAS» / «LEBEN»), dachte sich unkonventionelle Sinnsprüche aus wie: / «ERDE BIST DU – ERDE ISST DU – ERDE WIRST DU» / «WER NICHT EINFACH IST IST NIE FREI» «WIR LEBEN UM ZU STERBEN – WIR STERBEN UM ZU LEBEN» / «WAS WIR LIEBEN DAS LEBT».

 

Schriftbild -> Neben der Tatsache, dass Josef Nauer ein Grabmal mit einem Sinnspruch oder lediglich mit dem Namen eines Verstorbenen «vollschreiben» konnte, begriff er die Schrift als Gestaltungsmittel. Einmal diente ihm die einfache Kreuzform als Gerüst oder Stütze für einen Sinnspruch. Ein andermal verwob er die unterschiedlich grossen Wörter zu einem Schriftbild oder einer Schriftkomposition.

 

Ein Grabbrett enthält die Inschrift «HERR – WER BIST DU», wobei das Wort «HERR» als fast absonderlich langgezogener Schriftzug mehr als die Hälfte der schmalen Fläche in Anspruch nimmt. An einem Vortrag im Jahr 2007 anlässlich der Sommerveranstaltung des Verbandes der Schweizer Bildhauer- und Steinmetzmeister VSBS verglich der Referent, Meinrad Huber, Grabmalsachverständiger der Stadt Zürich, die Gestaltungsidee von Josef Nauer mit der Plakatkunst der Wiener Sezessionisten, insbesondere mit einem jugenstilhaften Ausstellungsplakat von Alfred Roller aus dem Jahr 1906. [5]

Bezüglich Originalität und Novität rücken die Schriftbilder oder Schriftkompositionen von Josef Nauer in die Nähe der Konkreten Poesie. Diese bezeichnet in der Dichtung eine bestimmte Herangehensweise an die Sprache: Die Sprache dient nicht mehr nur der Beschreibung, sondern sie wird selbst zum Zweck und Gegenstand des Gedichts. Der in Bolivien geborene Schweizer Dichter, Schriftsteller und Verleger Eugen Gomringer – neun Jahre jünger als Josef Nauer – wird oft als Vater der Konkreten Poesie bezeichnet.

[1] Alfred Huber: Kreuz auf dem Friedhof Enzenbühl, Zürich (Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur, Fachhochschule OST Rapperswil)

[2] Josef Nauer: Grabmal und Friedhof (Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur, Fachhochschule OST Rapperswil)

[3] Martin H. Schibig: Schriftgestaltung – Nauers Schrift, 2007 (Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur, Fachhochschule OST Rapperswil)

[4] Brief von Professor Alois Müller an Josef Nauer, datiert vom 12. Juni 1982 (Archiv für Schweizer Landschaftsarchitektur, Fachhochschule OST Rapperswil)

[5] Meinrad Hubert: Der Bildhauer Josef Nauer als Grabmalgestalter (Referat, schriftliche Fassung)

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